Auf Reisen 1994
Chile 1994
Ein großes Ereignis in der Vereinsgeschichte war unsere Konzertreise nach Chile im Sommer 1994. Ein Dirigent, 28 Spieler sowie 7 Fans traten die lange Flugreise von Stuttgart über Frankfurt, Rio de Janeiro und Buenos Aires nach Santiago de Chile an. Unsere Instrumente reisten in Socken und Unterwäsche verpackt im Frachtcontainer mit.
In Santiago angekommen wurden wir vom Bus – Heimat für die kommenden 3 Wochen – abgeholt und von unseren Gasteltern in Empfang genommen. Der Deutsch-Chilenische Bund hatte die Unterkünfte bei Mitgliedern und Freunden des Bundes sowie unsere Route samt Konzerten perfekt geplant und organisiert. Der erste von 18 Auftritten war im größten Einkaufszentrum Santiagos. Die in Chile ungewohnte Akkordeon-Musik kam trotz grausamer Akustik sehr gut an.
In der Küstenstadt Valparaiso im Marine-Club traf sich die Admiralität zur Mittags-Matinee und zögerte nicht, zu unserer Musik eifrig das Tanzbein zu schwingen! Hier kostete man auch zum ersten Mal den beliebten Rinderbraten mit Kartoffelbrei, der uns bald unentbehrlich werden sollte. Abends verfolgten wir die Übertragung des WM-Endspiels Brasilien gegen Italien. Der Fernseher im Bus war stark frequentiert, drinnen wir und draussen die Chilenen. Wir haben eben schon vor 16 Jahren das Public Viewing erfunden! Nach Spielende gaben wir in einem total überfüllten Kellersaal ein weiteres Konzert, stimmgewaltig begleitet durch unseren „Kantore“ Helmut Hilser.
Anderntags nach der Stadtrundfahrt durch Santiago und einem Konzert im Club Manquehue verließen wir die Stadt in Richtung Süden. Weinproben und ein Besuch beim Landadel von Curico gingen dem abendlichen Konzert zuvor. In Linares war Empfang im Gouverneurspalast. Die Unterkunft im hiesigen Kolpingsheim ist vielen in bleibender Erinnerung, nicht alle hatten eine warme gemütliche Bleibe gefunden. Da in Chile Spätherbst war, war das Klima sehr feucht-kalt und die Sporthallen meist schwer unterkühlt und mit mehr als großzügigen Lüftungsspälten versehen. Der Pisco – traditionelles chilenisches Getränk – fand daher wegen seiner wärmenden Eigenschaft viele Freunde.
In Talca fanden wir gemeinsam Unterkunft in einem leer stehenden Kloster. Beim Konzert abends neuer Geheimtip: Schlafanzughose unter die Konzerthose, gab warm!
Nächste Station war Laja, die dortige Karton- und Papierfabrik war ein ganzes Dorf mit Arbeiter-Unterkünften, Sozialräumen und Krankenstation. Unser Quartier bezogen wir in einem leer stehenden Block der Arbeitersiedlung. Sogar unsere Wäsche wurde abgeholt und am nächsten Tag sauber und gebügelt wieder zurückgebracht! Und alle, die sich nicht mehr so gesund fühlten, konnten sich auf Firmenkosten beim Betriebsarzt vorstellen! An zwei Abenden gaben wir hier Konzert.
Der Besuch eines Marktes mit heimischem Gewerbe in Chillan stand an, sowie der geheimnisumwobenen deutschen Kolonie „Dignidad“, Zufluchtsort vieler alter deutscher Nazis. Fotos machen war streng untersagt! Unterwegs nach Valdivia, in der Heimat unserer Dirigentenfrau Nanni, wurden wir ganz herzlich zum Barbeque in die Scheune eingeladen. Ein riesiges Buffet wartete mit Grillspieß, Salat, Pisco, Musik und Tanz.
In der Bucht von Niebla genoss man in einem einfachen kleinen Fischrestaurant die schon lange erwarteten Meeresfrüchte in unübersehbaren Mengen! Es folgten Konzerte in Valdivia, Osorno und Fruttilar. Ein denkwürdiges Nachtessen in einem Jägerheim mit Wein, Schnaps, Tanz und fröhlichen Gesängen ist noch heute deutlich in Erinnerung. Entspannen konnte man am Lake Llanquehue, mit dem Vulkan „Osorno“ im Hintergrund.
Nachmittags wurde der südlichste Punkt unserer Reise erreicht, Puerto Varas, wo Konzert im Deutschen Club war. Nun ging die Reise wieder rückwärts, nach Victoria und Temuco, der Heimatstadt unseres Dirigenten. Eine Spielgruppe wirkte in der Kathedrale von Temuco an einem Requiem mit für Victors verstorbenen Vater.
Nach dem Konzert in Conception wurde die Spielgruppe genötigt, noch beim Schweizer Nationalfeiertag aufzuspielen. Dieser Anlass muss jedoch kein Grund zur Freude gewesen sein, angesichts der eisigen schweizer Mienen wurde schnell zusammengepackt und es ging wieder zurück nach Santiago. Nach drei Wochen Zigeunerleben nötigte der Rückflug nochmal 22 Stunden Durchhalten ab.
Die Reise war sehr anstrengend gewesen, in drei Wochen ca. 3.500 km durch das südliche Chile, dabei wurden 18 Konzerte und 2 Auftritte der Spielgruppe gegeben! Zweimal wurde ein Konzert vom Fernsehen übertragen, dreimal war ein Radiosender mit dabei, einmal übertrug ein Rundfunksender live. Das Erlebte war einfach fantastisch. Am meisten beeindruckte die selbstverständliche Gastfreundschaft, der wir überall begegnet sind, das herzliche Interesse an unserer Musik und die spontane Begeisterung, die unverhohlen gezeigt wurde. Was bleibt, ist eine wunderschöne Erinnerung.