Samstag, April 27, 2024

Auf Reisen 1994

Chile 1994

Ein großes Ereignis in der Ver­eins­ge­schichte war unsere Konzert­reise nach Chile im Sommer 1994. Ein Di­ri­gent, 28 Spieler sowie 7  Fans traten die lange Flugreise von Stuttgart über Frankfurt, Rio de Janeiro und Buenos Aires nach San­tiago de Chile an. Unsere Instrumente reisten in Socken und Unter­wäsche verpackt im Fracht­container mit.

In Santiago angekommen wur­den wir vom Bus – Heimat für die kom­menden 3 Wochen – abgeholt und von unseren Gast­eltern in Em­pfang ge­nom­men. Der Deutsch-Chile­nische Bund hatte die Unterkünfte bei Mit­glie­dern und Freun­den des Bundes so­wie unsere Route samt Konzerten per­fekt ge­plant und organisiert. Der erste von 18 Auf­tritten war im größten Ein­kaufs­zen­trum San­tiagos. Die in Chile unge­wohnte Akkor­deon-Musik kam trotz grau­samer Akustik sehr gut an.

In der Küstenstadt Valparaiso im Ma­rine-Club traf sich die Admiralität zur Mittags-Matinee und zögerte nicht, zu unserer Musik eifrig das Tanz­bein zu schwingen! Hier kostete man auch zum ersten Mal den beliebten Rinder­braten mit Kartoffel­brei, der uns bald unent­behrlich wer­den sollte.  Abends ver­folgten wir die Über­tragung des WM-End­spiels Bra­silien gegen Italien. Der Fern­seher im Bus war stark fre­quentiert, drinnen wir und draussen die Chilenen. Wir haben eben schon vor 16 Jahren das Public Vie­wing er­funden! Nach Spielende gaben wir in einem total über­füllten Kel­ler­saal ein weiteres Konzert, stimm­gewaltig be­gleitet durch unseren „Kan­tore“ Hel­mut Hilser.

Anderntags nach der Stadtrundfahrt durch Santiago und einem Konzert im Club Manquehue verließen wir die Stadt in Rich­tung Süden. Wein­proben und ein Besuch beim Land­adel von Curico gingen dem abend­lichen Kon­zert zuvor. In Linares war Empfang im Gouverneurspalast. Die Unterkunft im hiesigen Kolpings­heim ist vielen in bleibender Erinnerung, nicht alle hat­ten eine warme gemütliche Bleibe ge­funden. Da in Chile Spätherbst war, war das Klima sehr feucht-kalt und die Sport­hallen meist schwer unter­kühlt und mit mehr als großzügigen Lüf­tungs­spälten ver­sehen. Der Pisco – tradi­tionelles chile­nisches Ge­tränk – fand daher wegen seiner wär­men­den Eigenschaft viele Freunde. 

In Talca fanden wir gemeinsam Unter­kunft in einem leer stehenden Klos­ter. Beim Konzert abends neuer Ge­heim­tip: Schlaf­anzughose unter die Kon­zert­hose, gab warm!

Nächste Station war Laja, die dortige Kar­ton- und Papierfabrik war ein gan­zes Dorf mit Arbeiter-Unter­künften, So­zial­räumen und Kranken­station. Unser Quartier bezogen wir in einem leer stehenden Block der Ar­beiter­siedlung. Sogar unsere Wäsche wurde ab­geholt und am nächsten Tag sau­ber und gebügelt wieder zu­rück­ge­bracht! Und alle, die sich nicht mehr so gesund fühlten, konnten sich auf Firmenkosten beim Betriebsarzt vor­stellen! An zwei Abenden gaben wir hier Konzert.

Der Besuch eines Marktes mit hei­mischem Gewerbe in Chillan stand an, sowie der ge­heimnisumwobenen deutschen Kolonie „Dig­ni­dad“, Zu­fluchtsort vieler alter deutscher Nazis. Fotos machen war streng untersagt!  Unter­wegs nach Valdivia, in der Hei­mat unserer Dirigentenfrau Nanni, wur­den wir ganz herz­lich zum Bar­beque in die Scheune eingeladen. Ein riesiges Buffet wartete mit Grill­spieß, Salat, Pisco, Musik und Tanz.

In der Bucht von Niebla genoss man in einem einfachen kleinen Fisch­restaurant die schon lange erwarteten Meeresfrüchte in un­übersehbaren Mengen! Es folgten Kon­zerte in Val­divia, Osorno und Fruttilar. Ein denk­würdiges Nacht­essen in einem Jäger­heim mit Wein, Schnaps, Tanz und fröhlichen Ge­sängen ist noch heute deutlich in Er­innerung. Ent­spannen konnte man am Lake Llan­quehue, mit dem Vulkan „Osorno“ im Hin­ter­grund.

Nachmittags wurde der süd­lichste Punkt unserer Reise erreicht, Puerto Varas, wo Konzert im Deutschen Club war. Nun ging die Reise wieder rück­wärts, nach Victoria und Temuco, der  Heimatstadt unseres Dirigenten. Eine  Spielgruppe wirkte in der Kathedrale von Temuco an einem Requiem mit für Victors verstorbenen Vater.

Nach dem Konzert in Conception wurde die Spiel­gruppe genö­tigt, noch beim Schweizer Nationalfeiertag auf­zuspielen. Dieser Anlass muss je­doch kein Grund zur Freude ge­wesen sein, angesichts der eisigen schwei­zer Mie­nen wur­de schnell zu­sammen­gepackt und es ging wieder zurück nach San­tiago. Nach drei Wochen Zigeuner­leben nötigte der Rück­flug noch­mal 22 Stun­den Durch­halten ab.

Die Reise war sehr anstrengend ge­wesen, in drei Wochen ca. 3.500 km durch das südliche Chile, dabei wur­den 18 Kon­zerte und 2 Auftritte der Spielgruppe gegeben! Zwei­mal wurde ein Konzert vom Fernsehen über­tragen, dreimal war ein Radiosender mit da­bei, einmal übertrug ein Rund­funksender live. Das Erlebte war ein­fach fantastisch. Am meisten beein­druckte die selbst­verständliche Gast­freundschaft, der wir überall begegnet sind, das herzliche Interesse an un­serer Musik und die spontane Be­geisterung, die unverhohlen gezeigt wurde. Was bleibt, ist eine wunder­schöne Erinnerung.